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  • Preema

Wenn nichts mehr geht, muss man gehen



Der Schmerz zieht von den Schläfen herauf und breitet sich mit jedem Pulsschlag über den gesamten Schädel aus. Jede Bewegung verursacht Pein, die von Minute zu Minute zunimmt. Es ist, als würde sich ein Nervengewitter im Kopf nach allen Seiten entladen. Ich habe eine Migräne-Attacke und nichts geht mehr. Obwohl ich sofort nach einem Schmerzmittel gegriffen habe, ist Linderung nicht in Sicht. Im Gegenteil, mir ist übel und ich fühle, dass mein Magen sehr bald rebellieren und sich entleeren wird. Ein Frösteln, das den ganzen Körper selbst unter der warmen Bettdecke überzieht, gesellt sich ebenfalls hinzu und überhaupt empfinde ich das ganze Leben gerade nur noch als Qual.


Familiendrama als Auslöser


Schon in den Tagen zuvor hat mich die Hölle im Kopf arg gepeinigt. Wohl eine Folge der anstrengenden und emotional aufreibenden Zeit, die hinter mir liegt. Vorausgegangen war ein Disput in meiner Familie, in dem ich Stellung bezogen habe für mich selbst und meine eigene Wahrheit auf die Sicht der Dinge. Obwohl ein Befreiungsschlag, war das auch sehr aufreibend für mich.


Aber nun liege ich nicht zu Hause in den eigenen vier Wänden, sondern im Hotelzimmer, dreihundert Kilometer entfernt. Ich nehme an einer Fortbildung teil, ein Thema, das ich sehr spannend finde und das ich gerne in meine Arbeit als Kinder- und Jugendcoach einbinden möchte. Doch schon der erste Tag hat mich geschafft. Die Anstrengung, unter vielen Menschen zu sein, und dem Stoff zu folgen, hat die Kopfschmerzen reaktiviert.


Fernheilung und Medikamente bringen Entspannung, doch der Anker sitzt


Von Annette, meiner Ärztin, Freundin und Lehrerin aus der Schule der Heilkunst, habe ich noch zu Hause und nach ausführlicher medizinischer Untersuchung ein Medikament gegen die Schmerzen und die Übelkeit verschrieben bekommen. Auch habe ich ihr versprochen, mich direkt nach meiner Rückkehr um einen Spezialisten zu bemühen, um die Ursache der Schmerzen fachmännisch abklären zu lassen. Nun schickt sie mir nach meinem Hilferuf per Handynachricht noch eine Fernheilung. Gott sei Dank!

Obwohl ich in dieser Nacht gut schlafen kann, ist der Schmerzanker am nächsten Tag noch da. Ich fühle ihn als warnenden Impuls, wenn ich mich bewege oder mich konzentriere. Sehr ungünstig, wenn man in einem Seminar mit rund einhundert Teilnehmern sitzt. Aber ich möchte das Wissen unbedingt mitnehmen. Ich möchte mit diesen Techniken, die dort vermittelt werden, arbeiten! Ich möchte ein Zertifikat haben und mich außerdem auch gut damit fühlen, es geschafft zu haben.


Ich kann nicht mehr!


Doch, wie soll das gehen? Mein Kopf bereitet mir schon wieder Sorgen. Ich habe Schwierigkeiten mit all den Reizen, die auf mich zukommen. Ich fühle mich verspannt und emotional auch wie versteinert. Außerdem habe ich kein leichtes Schmerzmittel dabei, nur den Migräne-Hammer, der aber nicht vorbeugend wirkt. All das schreibe ich an Annette, schon auf meinem Platz im Seminar sitzend.


Die Antwort, die von Annette kommt, ist deutlich anders als das, was ich erwartet habe. Sie rät mir zwar auch zum Gang zur Apotheke, um ein bestimmtes rezeptfreies Medikament zu besorgen, doch vor allem macht sie mir deutlich, dass ich eigentlich Wärme, Ruhe und Erholung bräuchte, damit meine Seele wieder auftaue. Auf jeden Fall kein anstrengendes Lernprogramm! Sicherlich könne ich den Kurs irgendwann nachholen.


Unmöglich, diese Lösung!


Wie soll denn das gehen?, laufen meine Gedanken Amok. Der Kurs war teuer, zu Hause hält Hari, mein Mann, extra dafür die Stellung bei unseren vier Kindern und ich soll das alles jetzt abbrechen, ohne das Wissen mitzunehmen und den bescheinigten Erfolg? Wenn ich das tue, argumentiere ich innerlich, denken doch alle, ich sei verrückt, nicht ganz bei Verstand.! Viel leichter wäre es doch, einfach eine ordentliche Schmerztablette einzuwerfen und weiterzumachen.


Tief drinnen aber hört sich Annettes Vorschlag nach einer Auszeit schon verlockend an, was ich ihr auch schreibe. Doch entschlossen, dem zu folgen, bin ich nicht wirklich. Das wäre ja auch wohl ziemlich unvernünftig, jetzt, wo ich schon mal vor Ort bin!


Die Seele ruft nach eigenen Wegen


„Sei lieb zu Deiner Seele! Was mutest Du Dir da zu?“, kommt von Annette zurück. „ Dein Ehrgeiz bringt Dich dazu, Deine Seele zu überbügeln. Deshalb klingt die Migräne auch nicht ab!“, macht sie mir klar. Oh wei! Ich muss erstmal durchatmen! Aber recht hat sie, muss ich zugeben. Mein Ehrgeiz ist tatsächlich so groß, dass ich mich glatt selbst überfahre und mich darüber auch noch beschwere.


Nachdem ich diese Erkenntnis verdaut habe, geht alles ganz schnell. Ich packe meine Sachen, melde mich bei der Kursleiterin ab und bekomme versprochen, dass ich die versäumten Tage nachholen kann. Dankbar für das mir entgegengebrachte Verständnis und die neugewonnene Freiheit, fahre ich zunächst zur Apotheke, um zu besorgen was mir Annette empfohlen hat. „Die bunten Blätter an den Bäumen sehen schön aus“, denke ich froh. Erst jetzt kann ich die Schönheit um mich herum überhaupt wieder ein wenig wahrnehmen. All die Tage zuvor ging ich wie mit Tunnelblick durch die Welt. Ich scheine tatsächlich die richtige Entscheidung getroffen zu haben.


Die Freude kehrt zurück


Mit den Kopfschmerzmitteln in der Tasche, habe ich nun Lust, mir Gutes zu tun, Schönes zu erleben. Und so lasse ich mich von meiner Intuition in den Zoo führen, obwohl ich eigentlich in die Innenstadt wollte. „Annette-Allee“, heißt lustigerweise die Straße, die mich spontan zum Tierpark abbiegen lässt. Vom Verstand aus betrachtet, wäre ich dort niemals hingefahren, schließlich ist das ein typischer Familienausflug und meine Familie sitzt zu Hause.


Aber als ich am Affengehege bin und dem spielerischen Treiben der Orang Utan Babys und ihrer Mütter zusehe, fliegt mein Herz auf und alle eingefrorenen Emotionen schmelzen dahin. Fast eine Stunde stehe ich an der Scheibe und schaue und staune.


Es geht mir gut!


Es geht mir gut! Sehr gut sogar!! Und obwohl ich keinerlei Kopfschmerzgefühl mehr habe, nehme ich später im Hotel dennoch die eingekauften Mittel ein, damit sich – wie Annette mir erklärt – die Gefäße im Gehirn beruhigen können und ein neuer Trigger nicht sofort eine Kettenreaktion auslösen kann. Überdies freut sie sich sehr mit mir über mein wiedererlangtes Wohlbefinden und über meine Freiheit, die mir so köstlich schmeckt.


Jeder ist seines Glückes Schmied


Die Essenz zum Mithören erhalte ich beim Besuch der Zoo-Waschräume. „Das Leben und die Gesundheit sind unbezahlbar“, sagt eine Stimme aus dem Lautsprecher, die für Spenden zum Erhalt des Tropenwaldes wirbt. „Es gibt keine Garantie dafür, jeder muss auch selbst dafür sorgen.“

Ooooh ja!!!



Preema


Bild: Johanna Luft

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