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  • Dres. Annette & Constanze Herrmann

Vom Tyrannosaurus zum Schoßkätzchen



Der Tag, an dem ich auf die Katze kam, war kein guter für mich. Ich fühlte mich einsam und allein, verlassen – trotz großer Familie um mich herum. Etwas Kuscheliges für´s Herz sollte her, eine Seelentrösterin und treue Gefährtin, eine wunderbar weiche Schmusekatze.


Die ehemalige Straßenkatze, die mir die Vermittlung in Dubai anbot, erreichte nicht direkt mein Herz. Ich fand sie mit ihren drei kräftigen Farben und dem tiefen Blick aus Augen, denen scheinbar nichts zu entgehen scheint, ehrlich gesagt etwas Angst einflößend. Aber nachdem man mir ihre Vorzüge aufzählte – sie sei mütterlich, kümmere sich liebevoll um alle anderen Katzen in der Pflegestelle, sei verschmust und anhänglich, käme mit Groß und Klein bestens zurecht, kurzum eine echte Schoßkatze, – entschied ich, dass wir gut zusammenpassen würden. Dass sie mit ihren drei Fellfarben zur Gattung „Glückskatze“ zählte, nahm ich als bekräftigendes Omen.


Die Liebe wuchs mit ihrer Ankunft. Allerdings auch der Respekt. Was auch immer der „Schoßkatze“ nicht passte, machte sie uns mit tiefem Knurren klar. Wenn wir nicht gleich verstanden, auch mit beherzten Hieben. Die Autoritäten verschoben sich schleichend und es dauerte nicht lange, da hatten das auch alle anderen Katzen in der Nachbarschaft verstanden. Patchuni, wie das arabische Vollblut heißt, sortierte die ehemals harmonische Katzengemeinschaft von Grund auf neu. Ab sofort blieben die Alteingesessenen nur noch zu Hause in den sicheren vier Wänden, während Madame ihr Gebiet beanspruchte. Wann immer Mark- und Bein erschütterndes Geschrei zu hören war, wussten wir, dass Patchunchen nicht weit war und für Klarheit sorgte.


Dass ihr Radius und ihre Kompetenzen sich ehemals nur auf ein kleines klimatisiertes Hochhausappartement in der arabischen Metropole beschränkt hatten, taten Freiheit und Machtanspruch keinen Abbruch. Der Tiger in ihr entfaltete sich bestens auf deutschem Boden und versorgte auch uns liebevoll mit Beute – von Feldkaninchen über Tauben, Meisen und Schlangen, Mäuse sowieso. Mütterlich war sie wirklich, da hatte die Vermittlung recht. Und sie war eindeutig meine Gefährtin, denn die meisten Geschenke legte sie in die vollen Wäschekörbe oder vor meine Hausschuhe.


Sie hatte ihr ganz eigenes Radar für Schwingungen, das zeigte sich schon bald. Wann immer wir glücklich waren, wir etwas in Freude oder in fröhlicher Gemeinschaft taten, gesellte sich Patchuni mitten unter uns, selbst wenn sie vorher auf Streifzüge außerhalb abgetaucht war. Dann verwöhnte sie uns damit, dass wir ihr unter ihrem wohligem Schnurren ihr weiches Fell kraulen durften - in genau von ihr erlaubten Bereichen, versteht sich.


Annette, meine Freundin, Ärztin und Lehrerin an der Schule der Heilkunst, machte mich darauf aufmerksam, dass die Menge und Häufigkeit der gebrachten Blutopfer mit meinen wahren Gefühlen unter der Oberfläche zu tun hätten. Und wenn ich ehrlich hinschaute, musste ich zugeben, dass das stimmte. Bedeutete, Patchuni´s Geschenke an mich nahmen zu, wenn ich unzufrieden und wütend war, mir dies aber nicht eingestand und im Außen mit Höflichkeit und Freundlichkeit überspielte. Auch streunerte sie länger umher, kam tagelang nicht nach Hause, wenn ich mit mir und meiner Situation haderte.


Als sich aber eines Nachmittags zwei Nachbarn bei uns vehement über das aggressive Verhalten unserer Katze beschwerten und das im Namen der gesamten Nachbarschaft, fühlte ich mich mit meinem Seelentiger überhaupt nicht auf einer Wellenlänge. Sie terrorisiere mit ihrem Geschrei seit langem alle Leute, beiße die anderen Katzen rabiat, auch ihre, und deshalb werde man auch vor „eigenen Lösungen“ nicht zurückschrecken, sollten wir das gefährliche Tier nicht schleunigst unter Kontrolle bringen. Die Nachbarn waren richtig wütend, angreifend und nicht gerade handzahm.


Das, was wir uns unter eigenen Lösungen vorstellten, machte uns große Sorgen. So große, dass wir sogar bereit waren, Patchunchen zu ihrer eigenen Sicherheit wegzugeben, auch wenn uns das sicher fast das Herz brechen würde. Vielleicht würde sie ja anderswo und als reine Wohnungskatze wieder zum zahmen Stubentiger werden. Hier bei uns zu Hause war sie jedenfalls fast gar nicht mehr. Stattdessen machte sie nur Ärger im Wohngebiet.


Bevor wir aber wirklich zur traurigen Tat schreiten konnten, wollte ich Annette wenigstens noch um Hinweise zum Geschehen auf Seelenebene bitten. Schließlich hatte uns der Blick hinter die Kulissen schon oft neue Perspektiven und nicht selten unglaubliche Veränderungen ermöglicht. Das, was sie dann sagte, kam mir allerdings etwas übertrieben vor. Patchuni sei für mich in die Rolle des Tyrannosaurus geschlüpft. Die Katze sei so fein, dass sie gar nicht anders könne, als die unbewussten Energien in mir umzusetzen und ins Außen zu bringen. Ich könne dies nutzen zu meinem Erwachen, Wohle und Wachstum. Ich also ein Tyrannosaurus… Aha!


Dennoch nahm ich ihre Empfehlung an, meinem inneren Unmut Ausdruck zu verleihen. Denn wenn ich ganz ehrlich mit mir war, gab es da schon einiges, was mich nervte. In der Familie, im Beruf, mit Freundinnen und auch ganz allgemein. Und alles war sowieso viel einfacher, als meine Seelenkatze wegzugeben.


Ich sollte mich also in den nächsten Tagen in Patchunchen´s geschmeidigen Katzenkörper denken, umherschleichen, beobachten, die Unzulänglichkeiten in meiner Umgebung wahrnehmen, im Geiste kommentieren, fauchen, knurren, schnappen, schreien – authentisch, aufrichtig und ohne Hemmungen. Ganz natürlich eben und all das als Kopfkino. In meinem Katzenfilm knurrte ich selbstverständlich auch mit diesen „fiesen“ Nachbarn, die unserem Tigerchen gleich an den Kragen wollten. Denn das hatte ich der Höflichkeit halber unterdrückt, als sie aufgebracht vor unserer Tür standen. Außerdem waren sie bekannt dafür, mit allen möglichen Anwohnern juristische Papierschlachten um Recht und Unrecht zu führen und vor beherzten Bissen auf dem Papier nicht zurück zu schrecken.


Was erst befremdlich wirkte, bereitete mir von Tag zu Tag mehr Vergnügen. Die geheime Tigerin in mir erwachte und hatte im Stillen ordentlich was zu Fauchen.

Niemand merkte etwas davon. Außer Patchuni. Denn sie bekam von mir – und das war auch Annette´s Empfehlung – Grenzen gesetzt. Auf meinen Schoß springen und knurren, weil ich mich bewegte? Ich packte sie im Nacken und wies sie zurecht. Den besten Platz auf dem Sofa besetzen und die Pfote drohend heben? Sofort schubste ich sie hinunter. Die Katze und ich lernten schnell. Innerhalb von kurzer Zeit verschoben sich die Autoritäten in eine gesunde Richtung.


Wie gesund zeigte sich schon wenige Tage später. Über meine Eltern, die nur wenige hundert Meter entfernt wohnen, und auch hautnah eingeweiht worden waren in das furchtbare Betragen ihrer Enkelkatze, ließen die Nachbarn ausrichten, dass Patchuni seit ihrer Beschwerde nie wieder bei ihnen aufgetaucht sei. Wir hätten die Katze wirklich gut im Griff. Sie seien froh, so nette und freundliche Nachbarn zu haben!

Und wir – wir waren auch froh! Darüber, dass Patchunchen bleiben konnte und seitdem endlich ihrer Bestimmung als Glückskatze nachkommen kann. Nomen est Omen!


Preema

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