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  • Preema

Ein Sturz und seine Geschenke


Der Wochenend-Frühstückstisch ist aufgeräumt, die Küche in Ordnung gebracht, die Kinder beschäftigen sich allesamt ruhig in ihren Zimmern. Jetzt ist die Gelegenheit günstig, um mit meiner Freundin zu telefonieren. Schon lange wollte ich das tun, wir haben bereits mehrmals aneinander vorbei telefoniert. Irgendwie war nie der passende Zeitpunkt dafür da, zumal unsere Gespräche erfahrungsgemäß länger dauern, noch dazu am späten Abend, wenn ich oft schon müde bin vom Tag und seinen vielen Anforderungen. Beim letzten Telefonat hatte ich mich zudem über etwas geärgert, dies aber nicht ausgedrückt. Nachdem nun einige Zeit vergangen ist, möchte ich das unbedingt nachholen, es ist mir wichtig.


Telefongespräch mit Unbehagen


Um auch meinem wachsenden Unbehagen, das ich verspüre, weil ich den Anruf schon so lange vor mir hergeschoben habe, ein Ende zu bereiten, greife ich zum Hörer. Bingo, das passt ja: Die Freundin nimmt nach wenigen Klingeltönen ab, ich freue mich, ihre Stimme zu hören. Wir reden kurz über Aktivitäten, die wir jeweils mit den Kindern in den Ferien unternommen haben, bevor das Gespräch einen bekannten Verlauf nimmt: Der Freundin geht es nicht gut, ich höre zu, ich fühle mit ihr in diesen schweren Zeiten, die sie zu durchlaufen hat. Sie redet, ich schweige. Bis auf mein Zuhören habe ich kaum Möglichkeit, etwas beizusteuern, es reicht gerade für „Aha!“, „Oh je!“ und „Ach, das tut mir leid“. Das, was ich tatsächlich zu ihrer Gefühlslage zu sagen hätte, werde ich nicht los, nicht nur wegen fehlender Redepausen, sondern auch, weil sie meine Sichtweise, die Welt zu betrachten, sowieso nicht ganz teilen kann.


So wie es aussieht, wird dieses Gespräch noch sehr lange dauern, ich fühle mich zunehmend unbehaglich bei diesem Gedanken, der Familiensamstag zerrinnt. Ich habe schon zu viele solcher Gespräche erlebt, sie finden so schwer ein Ende. Die Freundin einfach zu unterbrechen und zu verabschieden, schaffe ich allerdings auch nicht, schließlich sind mir harmonische Beziehungen so wichtig. Ich möchte niemanden verletzen, kann doch auch so gut nachfühlen, wie schwierig ihre Lage derzeit ist.


Immer der Kopf, der Schwierigkeiten macht


Durch die offene Küchentür schaut Hari, mein Mann, mich an, genervt die Augen verdrehend. Er wusste, dass ich eigentlich etwas mit der Freundin klären wollte. Dieses Vorhaben habe ich innerlich längst aufgegeben, ihren Erzählungen untergeordnet. Nun bin ich stattdessen sauer auf ihn, meinen Mann, weil er mich still mahnend daran erinnert. Von oben höre ich außerdem Streitereien in zunehmender Lautstärke. Nicht mal in Ruhe telefonieren kann man hier!


Bevor ich mich allerdings noch länger über meinen Mann oder die sich ärgernden Kinder aufregen kann, unterbricht ein dumpfes und sich wiederholendes Poltern meine Gedanken und meine Aufmerksamkeit für die Freundin: Bumm, Dabumm, Dabumm, Bumm, Dabumm! Was war das? Zeitgleich mit dieser Frage, schießt mir der Schreck in die Adern und in alle Glieder. Die Treppe, die Kinder!!


Mit großen Schritten jage ich die Stufen nach oben und endlich unterbricht ein erlösender Aufschrei die Stille nach dem Poltern. Jakob!! Er liegt vor der Treppe, die nach oben ins Dachgeschoss führt, die Hände am Kopf, die Augen groß vor Schreck. „Muss auflegen, Unfall“, beende ich das Telefonat und bin sofort bei meinem Kind, das nun anhaltend brüllt, weint und jammert. „Mein Kopf, mein Kopf!“ „Er ist rückwärts die Treppe von ganz oben runtergefallen“, erklärt mir seine Schwester Viktoria, die selbst schockiert ist. Diese Erklärung verstärkt die Panik in mir nur noch mehr. Hektisch fange ich an, ihn zu untersuchen: „Tut es Dir hier weh oder hier? Kannst Du Dich bewegen? Schau mir in die Augen!“ Nach und nach sammele ich mich und kann auch Jakob beruhigen. Irgendwann lässt das Weinen nach in meinen Armen, nur der Kopf tut ihm noch weh. Was jetzt?


Da dies leider nicht Jakobs erster heftiger Sturz war, sondern eine Reihe seit dem Krabbelalter fortsetzt, habe ich schon viel Erfahrung mit solchen Verletzungen. Und ich weiß, dass die Kinder in der Klinik über Nacht nur beobachtet werden. Das möchte ich ihm und uns eigentlich ersparen. Aber ganz auf ärztlichen Rat verzichten möchte ich nun auch nicht! „Annette!“ Unsere Ärztin und Freundin weiß sicher, worauf es in dieser Situation ankommt. Ich beschreibe ihr detailliert Jakobs Zustand und erhalte umgehend Hinweise, auf was ich nun achten muss, versehen mit dem dringenden Rat, sofort eine Klinik aufzusuchen, sobald sich sein Zustand in irgendeiner Weise verschlechtern sollte. Das muss ich ihr sogar versprechen. Gleichzeitig versichert mir Annette, dass sie Jakob umgehend Heilenergie senden wird, eine Fernheilung.


So kontrolliere ich nun regelmäßig seine Pupillen auf Veränderungen, höre auf seine Sprache und nötige ihn, Ruhe auf dem Sofa einzuhalten. Letzteres allerdings ist selbst mit Strenge und Androhung von Konsequenzen nicht möglich. Jakob geht es zu gut, er will nach draußen, Fußball kicken, Spielen, Rennen. Ich vertraue auf sein eigenes Körpergefühl und willige ein. Die Fernheilung hat scheinbar schon stattgefunden!


Die Botschaft entdecken


Endlich kann ich selbst einen Gang zurückfahren und mir in Ruhe Annettes Rat für mich zu Gemüte führen, die mir neben den wichtigen medizinischen Ratschlägen vor allem die energetischen Gesetze hinter dem Geschehen nahe bringt. Von zurückgenommener Lebenskraft war da die Rede, nicht gesetzten Grenzen und unterdrückter Wut. Wenn der Kopf über das Herz regiere, komme es zu einer Anstauung von Energie, die sich dann oft unkontrolliert entlade. Und zwar dort, wo das Tor für ungehinderten Ausdruck ganz weit offen stehe. Ja, damit kann ich mich identifizieren! Jakob ist purer spontaner Ausdruck! Ich hatte eine Menge Groll in mir während des Gesprächs mit der Freundin. Grenzen konnte ich ihr nicht setzen, ich fühlte mich in allem aufgehalten, nicht nur in der Gestaltung meiner Zeit. Ich war mir dessen aber nicht bewusst. Es brodelte vielmehr untendrunter, versteckt unter meinem ebenfalls vorhandenem Mitgefühl und meiner Zuneigung für sie. Mich zurückzunehmen und hinterher daran zu leiden, gehört zum Grundmuster meiner Persönlichkeitsstruktur und kommt deshalb immer wieder vor. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Energie irgendwo Entladung finden muss, wenn nicht in eigenen Krankheiten, dann eben über die Kinder, die mit uns so eng verbunden sind.


Klarheit


Ich nehme mir vor, mich bewusster zu beobachten, zu erfühlen, ob ich überhaupt Lust auf bestimmte Begegnungen habe und mich authentischer auszudrücken im Umgang mit anderen, auch mein Tagebuch mehr zu nutzen, um Unmut und Groll Ausdruck zu geben. Sicher kann ich meine alten Verhaltensweisen und Muster nur Schritt für Schritt auflösen, aber es macht mir Freude, mir vorzustellen, wie es sein könnte, wenn ich mich kraftvoll und authentisch in die Welt einbringen würde. Das fühlt sich gut an!

Draußen höre ich Jakob Fußball spielen. Es scheint ihm gutzugehen, ich bin dankbar für alle seine fleißigen Schutzengel. Aber auch für das Geschenk der Selbsterkenntnis, das sich selbst in einem so schlimmen Sturz verbergen kann.


Preema


Bild: Preema Luft


P.S. Jakob hatte Freude, uns noch einmal zu zeigen, wie das damals aussah, als er den Verband am Kopf trug. Er mag es, die Hauptperson in vielen Geschichten zu sein. Das Bild ist nachträglich entstanden mit dem vollem Einverständnis und unter Mitwirken des Hauptdarstellers:-)


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